Dienstag, 7. Mai 2013

Auf den Spuren der Roten Khmer in Phnom Penh, Kambodscha

Viel Zeit ist vergangen, seit ich den letzten Eintrag geschrieben habe. Deutschland hat mich wieder fest in seinem Griff und der Nieselregen animiert dazu, in Gedanken in dieses ferne exotische Land Kambodscha zu flüchten und diesen Reisebericht weiter zu schreiben. Allerdings wird es in diesem Blogeintrag hauptsächlich um die dunkle Vergangenheit Kambodschas gehen: die Roten Khmer und ihre Schreckensherrschaft.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich die Warnung platzieren, dass im Folgenden sowohl Bilder als auch Beschreibungen von Folter und Hinrichtungen folgen.




Wir haben an diesem Tag in Phnom Penh zunächst das Killing Field Choeung Ek besucht. Es liegt ein wenig außerhalb der Stadt. Man fährt mit dem Tuk Tuk über staubige Straßen, die mehr aus Schlaglöchern als allem anderen bestehen, durch eine unglaublich grüne und sonnige Landschaft. Dann kommt man an dieser Anlage an. Sie sieht aus wie ein sorgfältig und liebevoll angelegter Park. Die Vögel zwitschern und die Sonne scheint gegen die Grausamkeiten anzukämpfen, die sich hier vor wenigen Jahrzehnten ereignet haben.
Die Anlage und ihre Vergangenheit sind sehr gut für Besucher aufbereitet. Von den Baracken, die hier standen ist eigentlich nichts mehr übrig. Aber der Besucher erhält am Eingang einen Audioguide mit Kopfhörern und einen kleinen Plan von dem Ort. Damit macht man sich dann auf den Weg von Station zu Station. Sehr schön ist auch, dass der Audioguide in vielen verschiedenen Sprachen erhältlich ist (übrigens im Eintrittspreis inbegriffen) und somit auch meine Mutter, deren Englisch nicht so perfekt ist, hier alles verstehen konnte.
Es wurde nicht einfach alles erläutert, was an diesem Ort vor sich ging, sondern es gab auch Interviews zu hören mit ehemaligen Gefangenen, die das Lager überlebt haben. Zwischendurch konnte man sich auch ein klassisches Musikstück anhören und auf einer schattigen Bank sitzen und die Umgebung auf sich wirken lassen. Es war unglaublich bewegend und die beste "Ausstellung" (wenn man das so nennen möchte), die ich jemals besucht habe.
An der Position, an der sich früher Baracken befanden, stehen jetzt Tafeln, auf denen beschrieben steht, was sich an diesen Stellen zugetragen hat und wie das "Lagerleben" ablief. Die Menschen, die hier umgebracht wurden, kamen hauptsächlich aus dem Foltergefängnis Tuol Sleng, das sich in Phnom Penh befindet. Das Gefängnis haben wir im Anschluss an das Killing Field besucht.
Auf diesem Bild und auch auf dem ersten Foto ganz oben sieht man den Stupa, den ich schon im letzten Blog-Eintrag erwähnte. Es handelt sich dabei um einen Raum, in dem ein Teil der Knochen, Schädel und Kleidungsfetzen aufbewahrt, sortiert und ausgestellt sind, die auf dem Gebiet dieses Killing Fields gefunden wurden. Choeung Ek ist das bisher größte Killing Field, das man in Kambodscha gefunden hat. Hier sollen (laut Wikipedia) bis zu 17.000 Menschen ermordet worden sein. Es befinden sich natürlich nicht alle Knochen und Schädel in dem Stupa. Auch handelt es sich bei dieser Zahl um eine Schätzung, denn es kommen nach wie vor durch Regen neue Knochen, Zähne und Kleidungsstücke zum Vorschein.
Die Schilder beschreiben, was sich an den entsprechenden Stellen befand. Hier stand das Büro der Mitarbeiter, die permanent auf dem Gelände stationiert waren und die Hinrichtungen ausführten. Ihre Büro hatte Strom, damit sie auch in der Nacht in der Lage waren, die Hinrichtungen zu planen und auszuführen.
An dieser Stelle stand der Raum, in dem Chemikalien wie beispielsweise DDT aufbewahrt wurden. Die Mitarbeiter des Lagers schütteten dies über die frisch Hingerichteten, um einerseits den Geruch des Todes zu eliminieren, damit in der Umgebung Arbeitende nicht Verdacht schöpften, und andererseits jene zu töten, die noch nicht ganz tot waren.
Hier befand sich die Baracke, in der jegliches Werkzeug zur Folter- und Hinrichtung und auch zum ausheben der Gruben aufbewahrt wurde. Die Roten Khmer wollten nur so wenig Munition wie möglich verschwenden, denn sie benötigten diese für den bewaffneten Kampf. So wurden ihre Opfer auf den Killing Fields mit Spitzhacken, Schaufeln, Macheten, Messern und anderem landwirtschaftlichen Gerät erschlagen.
Einige Bereiche auf dem Gelände sind abgesperrt, da sich dort Gruben mit Massengräbern befinden. So entstehen auf dem großen Gelände Wege zwischen den Massengräbern, auf denen sich die Besucher bewegen.

Ein Blick auf die Reisfelder neben dem Killing Field: in der Ferne sieht man einen Tempel. Es ist unvorstellbar, dass in dieser idyllischen und so friedvoll erscheinenden Umgebung solche Gräueltaten geschehen sind.

Auf diesen schmalen Wegen bewegt man sich zwischen den Gräbern und den Stellen, an denen sich Baracken befanden.
Wenn man aufmerksam ist, bemerkt man, dass man über menschliche Kiefer, Knochen und Zähne läuft. Das Gebiet ist so durchsetzt mit toten Körpern, dass es unmöglich ist, alle Zähne und Knochen zu bergen. Durch Regen und Überflutungen, werden jedes Jahr mehr Relikte aus dem Boden nach oben befördert, dass man gar nicht in der Lage ist, dies alles zu bergen. So weist man die Besucher darauf hin, dass sie sich der Tatsache bewusst sein müssen, was sich unter ihren Füßen befindet. 
Das schreckliche Gefühl, wenn einem zum ersten mal bewusst wird, dass man gerade über menschliche Kieferknochen läuft... und dazu all das Wissen, dass man bis dahin schon durch die Ausstellung erfahren hat, machen diesen Ort zu einem, den man wohl sein ganzes Leben nicht mehr vergisst.
In dieser Vitrine sind Kleidungsfetzen ausgestellt, die den Ermordeten gehörten, die sie am Leib trugen, als sie in den Massengräbern verscharrt wurden.
Dies ist eine besonders grauenvolle Stelle an diesem ohnehin schon unvorstellbar grausamen Ort. Hier befand sich ein Massengrab, in dem ausschließlich Babys und Kleinkinder verscharrt wurden. Aus welchem Grund die Roten Khmer sich diese Perversität ausdachten, erschließt sich mir nicht einmal annähernd.
An diesem Baum haben die Henker Babys und Kleinkinder erschlagen. Sie packten sie an den Beinen und schlugen sie mit den Köpfen gegen den Baum. Besucher aus aller Welt bekunden ihre Trauer und ihr Entsetzen, indem sie Freundschaftsarmbänder, die man in Südostasien überall kaufen kann, als Symbol der Verbundenheit hier hinterlassen.

An diesem Baum wurden Lautsprecher aufgehängt, die laute Musik spielten, damit man die Schreie der Opfer nicht hören würde. Man stelle sich die groteske Szenerie vor, wie im strahlenden, heißen Sonnenschein bei kambodschanischer Volksmusik in ohrenbetäubender Lautstärke Massenmorde verübt werden, Babys die Köpfe an Bäumen gespalten werden...
Der Rundgang auf dem Killing Field endet an dem Stupa, den man eingangs gesehen hat. Hier hat man die Möglichkeit, noch einmal inne zu halten. Man wird mit der unvorstellbaren Masse an Opfern konfrontiert. Hier ist ein Platz, ihrer zu gedenken.
Nachdem wir das Killing Field Choeung Ek besucht hatten, fuhren wir zum Foltergefängnis Tuol Sleng. Es befindet sich am Rande Phnom Penhs und wird auch oft mit S-21 bezeichnet. Es handelt sich bei dem Komplex um eine ehemalige Schule, deren Klassenzimmer zu Gefängniszellen und Folterkammern umgebaut wurden.
Es diente von 1975 bis zur Befreiung Phnom Penhs durch die Vietnamesen 1979 als Gefängnis. Dort konnten bis zu 15.000 Gefangene gehalten werden. Als es von den Vietnamesen befreit wurde, fanden sie dort 14  Überlebende, von denen jedoch in den darauffolgenden Tagen sieben an den Folgen der Haft starben. Diese Opfer wurden auf dem Hof des Geländes begraben. Ihre Gräber und eine Gedenktafel sieht man auf dem Foto links. Über zwei der sieben Überlebende gibt es interessante Wikipedia-Einträge. Sie finden sich hier: Chum Mey und Vann Nath.
Auf dieser Tafel stehen die Regeln für die Gefangenen. Nummer 6 sagt zum Beispiel, dass es verboten ist, während des Auspeitschens zu weinen oder zu schreien. Weiterhin ist es untersagt, irgendwelche Geräusche zu machen, es sei denn es wurde eine Frage gestellt. Diese ist unverzüglich zu beantworten. Zur Bestrafung und auch als Folter zur Erpressung von Geständnissen nutze man das Auspeitschen mit Stromkabeln, Elektroschocks, es wurden Insekten verwendet, die die Opfer kneifen, stechen oder beißen sollten, es wurde Waterboarding praktiziert und vieles mehr.
So sahen die Räume aus, in denen die Folter verübt wurde. Die Gefängniswärter waren sehr kreativ bei ihrer Arbeit. Es kam natürlich immer wieder vor, dass Gefangene bei der Folter starben, dies war jedoch nicht gewünscht, denn man versuchte, von ihnen Geständnisse zu erpressen.
 Als weitere Foltermethode hängte man den Gefangenen an auf dem Rücken zusammengebundenen Armen an einer Turnstange (Foto links) im Hof auf, bis er das Bewusstsein verloren. Im Anschluss steckte man ihn kopfüber in ein Fass mit Gülle, bis er wieder zu sich kam. Die Fässer sind auf dem Foto unter dem Galgen zu sehen.
In dem Gefängnis waren sowohl Männer als auch Frauen und Kinder inhaftiert, denn man nahm immer die gesamte Familie fest, da es so leichter war, Geständnisse zu erpressen und man damit vermeiden wollte, dass jemand zurückbleibt, der Rache üben kann.
Diese Gänge waren zum Teil nach außen mit Stacheldraht vergittert, um Gefangene daran zu hindern, sich in den Tod zu stürzen.
An der Wand zwischen den Fenstern hängt ein Foto. Auf diesem Foto sieht man eine verkohlte Leiche. Das Bild wurde von einem vietnamesischen Kriegsfotografen gemacht, als das Gefängnis von der vietnamesischen Armee befreit wurde.


Der Galgen mit den Güllefässern.
Dieses Schild beschreibt die Foltermethode an dem Galgen. Ich habe oben schon beschrieben, wie dies gemacht wurde. In der oberen linken Ecke ist eine Zeichnung von einer Folterszene. Einer der sieben Überlebenden des Gefängnisses war Vann Nath. Er war Maler und musste während seiner Gefangenschaft Porträts der Führungselite malen. Er hat nach dem Ende der Herrschaft der Roten Khmer Bilder der Folterszenen angefertigt. Viele seiner Darstellungen sind in dem Gefängnis zu sehen.
Ähnlich wie man es von Hitler und seinem Regime kannte, haben auch die Roten Khmer ihre Taten genau dokumentiert. Alle Gefangenen wurden einzeln fotografiert, bevor sie dann zum ersten Verhör mussten. In der Ausstellung finden sich zahllose große Tafeln, mit Fotos der Häftlinge, aber auch von den Wärtern. 
Von den 111 Wärtern, die im Jahr 1977 in dem Gefängnis arbeiteten, waren 82 im Alter zwischen 17 und 21. Nur sechs von den Wärtern, sind der Revolution schon vor 1973 beigetreten. Dies zeigt, dass es sich um eine Maschinerie handelte, von der viele mit Sicherheit nicht einmal genau wussten, was ihr Ziel war oder wer ihr vorstand. Man machte aus Angst um sein eigenes Leben mit.
Die Gefangenen, die nicht im Gefängnis starben, wurden mit Lastwagen nach Cheoung Ek (dem Killing Field nahe Phnom Penh) gefahren.






In die ehemaligen Klassenzimmer wurden kleine Gefängniszellen gemauert, in denen mehrere Menschen zeitgleich inhaftiert waren. Sie teilten sich ein Behältnis von der Größe eines Schuhkartons als Toilette. In den Zellen waren sie an die Wand gekettet.
Wir sind alle bestens vertraut mit unserer eigenen Vergangenheit und den Gräueltaten des Hitler-Regimes. In der Schule werden wir mit Bildern von Leichen konfrontiert, bis es fast schon normal ist, so etwas zu sehen. Dennoch ist es von neuem erschütternd, die Zeugnisse eines unvorstellbar grausamen Genozids zu sehen. Die Roten Khmer haben in den wenigen Jahren ihrer Herrschaft geschätzte 2 Millionen Menschen ermordet. Verglichen mit den Toten des 2. Weltkriegs und der Konzentrationslager ist dies weniger. Aber wenn man sich vor Augen führt, dass es sich dabei um ein Viertel der gesamten Bevölkerung des Landes handelt, kann man sich annähernd vorstellen, welche Zerstörung dadurch in diesem Land angerichtet wurde. 
Es gibt vermutlich nicht eine Familie in Kambodscha, die nicht Familienangehörige verloren hat. Die gesamte Wirtschaft des Landes wurde zerstört. Pol Pot (der Führer der Roten Khmer, auch Bruder Nr. 1 genannt) hatte das Ziel, eine klassenlose Agrargesellschaft zu erschaffen. Besitz und Geld wurden abgeschafft. Die Bevölkerung der Städte wurde auf das Land verschleppt, wo sie auf den Feldern mit primitivsten mitteln Zwangsarbeit leisten mussten. Die Produktionsziele waren in Anbetracht der nicht vorhandenen Hilfsmittel wie Maschinen etc. nicht zu erreichen. Der bloße Verdacht, man könnte etwas gegen das System haben, reichte aus, um in ein Foltergefängnis gesteckt zu werden oder gleich an Ort und Stelle erschossen oder erschlagen zu werden. Jeder sollte gleich sein. Die Intellektuellen (zu denen Pol Pot absurderweise selber gehörte, da er in Frankreich Lehramt studiert hatte) wurden als die größte Gefahr ihrer Utopie angesehen und verfolgt und ermordet. Bekannt ist, dass selbst das Tragen einer Brille schon ausreichte, um als Intellektueller zu gelten und somit den Tod zu verdienen. Das Regime hatte eine Richtlinie: Lieber einen Unschuldigen töten, als einen Schuldigen mit dem Leben davon kommen lassen.

Kambodscha leidet immer noch unter den Nachwirkungen der Herrschaft dieses Regimes, das doch nur 4 Jahre an der Macht war. Dennoch war es in der Lage, eine Gesellschaft zu entwurzeln (durch die Zwangsumsiedlungen) und das Wirtschaftssystem zu zerstören. Pol Pot starb Ende der 90er Jahre, ohne je für seine Verbrechen vor einem Gericht gestanden zu haben. Das Land ist gespalten, über das Kriegsverbrechertribunal, das nun schon seit Jahren unter kambodschanischen Richtern unter Beteiligung der UN in Phnom Penh abgehalten wird. Einige wollen die Aufarbeitung der Geschichte und dass die wenigen verbliebenen Verantwortlichen einem (kambodschanischen!) Prozess zugeführt werden. Die anderen wollen endlich abschließen. Sie wollen nach vorne blicken und die schmerzvolle Vergangenheit hinter sich lassen. Diese Land leidet immer noch unter Korruption und undurchsichtigen politischen Machtverstrickungen. Man kann nur hoffen, dass nach dem Tod Sihanouks Ende des Jahres 2012 eine neue Ära anbricht.

1 Kommentar:

  1. Es ist wirklich schlimm, was sich da damals zugetragen hat, um so wichtiger ist es auch darüber zu schreiben und darüber zu sprechen, damit solche Taten nie wieder passieren und man von den Fehlern lernt. Deshalb Danke für deinen netten Beitrag mit den vielen Bildern. Viel zu selten passiert es, das Menschen darüber reden oder schreiben, weil sie nur Urlaub machen.

    Wer Interesse daran hat, kann auch gerne meine Sicht und mein Beitrag darüber lesen, als ich vor Ort war.

    http://www.martinwos.de/die-rote-khmer-und-die-massenvernichtung/

    AntwortenLöschen